Corona-Tagebuch 1.0

Es ist 6:20 Uhr und ich sitze in der Küche, die ich so gelassen habe wie sie ist, erstmal. Sonst hätte ich abgewaschen bis das erste Kind wach wird. “Ich wasch nur noch schnell das Becken frei” hätte ich mir gesagt und “dann setz ich mich hin und trink nen Cafe und schreib’ was.” Never hätte das funktioniert. Ich kenn mich. Ich lerne mich kennen.

Eine Freundin hat mir einen Eintrag von ihr auf irgend einem Blog geschickt. Ich weiß gar nicht mehr was das genau für ein Blog war, sie hat es mir geschickt, also bin ich dem link gefolgt. Ich bin eine Raben-Bloggerin. Der Alltag in verschiedenen Ländern in den Zeiten von Corona. Eine Frau mit drei Kindern schreibt aus den USA. Meine Freundin schreibt aus Italien. Noch immer, trotz dem, was sie auch über Norditalien schreibt, halte ich Corona nicht für eine Krankheit, gegen die ich mich unter normalen Umständen impfen würde, noch immer kann ich mir nicht helfen und halte Corona im Stillen für eine fiese Grippe, die ich nicht kriegen möchte, wegen der ich aber niemals mit Mundschutz und Handschuhen zum Bewerbungsgespräch gehen würde. Und noch immer bin ich gleichwohl genauso still und sehr sehr heimlich so froh, daß die Welt gerade so sehr inne hält. Sie hält ja nicht mal wirklich inne, es hat nur jemand kurz am Temporegler gedreht, ganz bisschen nur. Ich werde sicher nicht herumlaufen und die Leute von irgendetwas überzeugen wollen. Außerdem wer bin ich das zu tun. Mich stört der Mundschutz nicht, und die zwei Meter Abstand, zumal dieser Abstand sogar noch irgendwie was mit Solidarität statt mit Ekel zu tun hat. Viele wollen Corona gar nicht unbedingt vermeiden zu bekommen, sie wollen nur nicht diejenigen sein, die andere angesteckt haben. Eine andere Freundin meinte letztens, daß jedes System, was Angst hat, beginnt, anders zu atmen. Ich möchte nicht in Krankenhäusern arbeiten derzeit. Und ich bewunder sie. Alle. Die Feuerwehrmänner des elften Septembers sind die Krankenschwestern und Nettomitarbeiterinnen dieser Coronakrise. Bei uns vor der Filiale um die Ecke steht mit Kreide vor den Fahrradständern auf den Fußboden geschrieben: “Danke liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Bleibt Gesund!”.

Gott was für ein Glück habe ich derzeit in diesem Land zu leben. Das sage ich. Die ich sonst so gründlich angewidert bin von dieser aberdeutschen Emotionslosigkeit. Aber ich werde irgendwie über die Runden kommen. Hier in Deutschland. Es ist knapp, aber ich werde über die Runden kommen. Hier war zuerst das Klopapier alle, nicht die Waffen. Und auch nicht der Wein. Was soll hier passieren wenn mal einer durchdreht irgendwann?

Es ist eine Krise und Menschen geraten an ihr Limit. Ich möchte das niemals beschönigen. Ich bin wahrscheinlich einfach zu Zeiten vor der Krise, zu Zeiten von jetzt-gib-der-Tante-die-Hand-und-iss-dein-Amazon-prime-Schnitzel immer wieder an mein Limit geraten und habe deshalb derzeit das Gefühl, zum ersten Mal seit langem in einem Land wie diesem atmen zu können. Und dankbar zu sein. Ich bin es leise. Es ist 6:52 Uhr. Am liebsten würde ich eine rauchen. Wenn es nur nicht so eklig wäre. Aber ich werde mich vielleicht einfach ans Fenster stellen und der Stille lauschen. Um sieben. In Deutschland. In einer Zeit, in der es ein Virus geschafft hat, nahezu jeden Menschen auf dieser Welt zur gleichen Zeit wenigstens ein klein wenig zu tangieren. Oder? Irre ich mich? Zumindest tangiert es doch recht viele zur gleichen Zeit. Vielleicht ähnlich viele, wie sonst zur gleichen Zeit diesen Planet so runterrocken.

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