Ich sollte Gitarre üben oder längst im Bett sein. Stattdessen mische ich dem restlichen Portwein in meinem Blut noch etwas Sekt hinzu und schreibe. Schön, genauso muß es sein, höre ich die postbohemischen Spätaufsteher sagen, als wäre Kunst irgendwie verbunden mit Rotwein und verrauchten Zimmern. Warum nur, habe ich mich gestern und gerade eben wieder gefragt, greife ich nach einer alkoholischen Abstinenz, die meinen Geburtstag und ein ganzes Festival überstanden hat, dann doch wieder zum Alkohol, und zwar just dann, wenn irgendetwas aus mir heraus und das auch gerne Kunst genannt werden will? Ich glaube wir greifen nicht zwangsläufig zum Alkohol aus Langeweile oder um Probleme zu ertränken, oder um mit einem Strom mitzuschwimmen. Ich glaube Alkohol ist eine Droge, die auch jedwede Intensität in uns leichter in einen Kontext setzen oder einfach leichter nehmen lässt. Vielleicht trinken wir Alkohol nicht, damit etwas intensiv wird, sondern auch weil etwas intensiv ist. Weil wir damit keinen Umgang kennen gelernt haben, weil wir dann nicht wissen wohin mit uns, wohin mit Intensität. Und vielleicht trinken wir Alkohol nicht, damit irgendwas intensiv-kreatives aus uns heraus kommt, sondern weil es in uns drin ist, und wir damit nicht umgehen gelernt haben, daß es raus will, daß es raus kommt und was wir machen wenn es draußen ist. Weil wir spüren, da ist etwas in uns drin was hinaus will und der Alkohol dämpft die Wogen, setzt alles in einen beliebigen Kontext und lässt uns Intensität mit einer Leichtigkeit ertragen, die deren Gefühlsspitzen zulässt, ohne daß wir das Erlebnis in seiner Gesamtwelle großartig in unser System integrieren müssen. Vielleicht meinen wir, mit Alkohol sei ein Erlebnis mit mehr Freude oder Heiterkeit durchdrungen, aber in Wahrheit ist die Freude längst da, wir haben nur mit ihr keinen Umgang gelernt, keinen, der die Freude zulässt und uns davon berühren und erfassen lässt. Oder die Trauer. Oder die Intensität.
Nur die Krux an der Kunst ist, sofern man irgendwann entscheidet, sie in die Welt hinaus zu lassen, sie als vorzeigbaren Output seiner Selbst wissen zu wollen, daß sie, sobald sie einmal Output ist, dann auch in irgend eine Struktur muß, wenn sie denn sichtbar werden will. Wenn sie denn gezeigt können werden will. Sie muß in irgendeine Form gegossen werden, die verschenkt, verkauft, angeboten werden können muß. Die eine Hälfte der Fähigkeit eines Künstlers, der oder die davon leben können will, besteht in der Kunst selbst. Die andere Hälfte der Fähigkeit besteht darin, sie irgendwie präsentieren zu können. Die Bilder selbst sind vielleicht mehr oder weniger einfach gemalt, für die, die es beherrscht, aber bis die Bilder dann in einer Galerie landen, in einem Wartezimmer, einem Museum, an einer Wohnzimmerwand, dazu braucht es eine ganz andere Fähigkeit, als die des Malens, Zeichnens, Kreierens. Es braucht, neben dem Wille zur Selbstbehauptung, neben dem Ja zu sich selbst, auch: Struktur. Der Song lässt sich schreiben, leicht oder schwer, aber er lässt sich denken. Aber er muß dann auf eine Plattform, beworben werden, angepriesen, gegossen, in eine Form, hergestellt, aufgenommen, vertont, bearbeitet, ausgestellt, verschickt, gepresst, gerahmt, foliert, beschriftet werden. Die Idee selbst, sie berauscht mich schnell, auf dem Klo, beim Spazierengehen, während eines Gespräches, beim Yoga, in der Meditation, die Idee ist immateriell und intensiv bisweilen. Sie kommt mit, aber auch ohne Alkohol. Die Idee sie enthält Lust, sie enthält Liebe, sie enthält Zauber. Aber erst in einer Struktur wird sie greifbar. In Buchstaben. Rahmen. Einsen und Nullen. Im Material. Auf einer Leinwand. Erst dort wird dieser Zauber erkennbar. Transportierbar.
Und dieser Schritt ist es, den ich scheue. Denn in ihm werde ich sichtbar. Dieser Schritt ist es, der mich zum Alkohol greifen lässt. Denn ich habe noch keine Übung in ihm. Ich habe keine Übung mit der Intensität, die sich freisetzt, wenn etwas Form gewinnt. Wenn etwas implodiert. Und Halt gewinnt. Gestalt annimmt. Wenn ein Teil meiner Selbst sichtbar wird. Es gibt viel, sehr viel Struktur in dieser Welt. Sehr viel Form und Gestalt. Sehr viele Grenzen. Sehr viele Rahmen. Aber wenige von ihnen enthalten Zauber. In wenigen von ihnen ist Lust und Liebe sichtbar. Fühlbar. In wenigen von ihnen ist Wesen zu sehen. Doch das ist die Kunst. Zumindest die, die ich machen will. Struktur, in der das Leben weiterhin atmet. In der meine Lust sichtbar ist. In der Aspekte eines Wesens sichtbar werden. Ein Gegenstand, der lebt. Und dieses Gießen, in eine Form. Das schaffe ich bislang nur nachts viertel zwei. In Sekt getränkter Mut, der Schülerin ist. Flüssiges Koks, was mir sagt, daß ich das auf alle Fälle probieren darf. Daß ich es wert bin. Daß es auch irgendwie grad scheißegal ist, weil ich einfach Bock habe. Scheiß auf morgen früh.
Ach Ethanol. Du bist der Rollator für mein künstlerisches Rückgrat. Hab Dank für die Stütze bis hier hin. Ich möchte ohne dich gehen lernen.
Was ist das künstlerische Werk, ehe es Gestalt angenommen hat? Ich bin sicher Kafka hätte sich über diese Frage gefreut. Er wollte nicht hinaus in die Welt mit dem, was in ihm war, aber er oder es musste.
Aber zurück zu dir. Ich bin froh, dass es offenbar auch ohne Alkohol geht. Ich mag auch diese Rollatoren nicht, ich mach lieber zeitig Rücktraining. Auch wenn mich die Kunst, die in mir ist und hinaus will manchmal zu verbrennen droht, da ist Alkohol sicher auch kontraindiziert.
Danke für deine Gedanken, es tut gut zu lesen, dass mensch nicht allein ringt, mit seinen künstlerischen Innereien.
Hier und Da
Da ist sie wieder
Da fließt sie vorbei
Da schwindet sie dahin
Da war sie eben noch, noch eben
Da, und jetzt schon weg
Da flog die Zeit schnell
Da sie jetzt nicht mehr
Da ist
Hier bin ich
Hier ist es ein wenig einsam
Hier ist sie nicht mehr
Hier kann ich nicht mehr
Hier sprechen mit ihr
Hier kommt die Nächste
Hier ist es warm
Hier sind jetzt wir