Gedanken im Körper

Mein Gott, das ist immer noch alles so separiert. Kopf und Bauch. Das ist doch aber beides an mir dran. Ich laufe rum und lebe und es geschehen Dinge. Natürlich geschehen Dinge. Und ich entwickle mich. Und meist sind es Gedanken, die ich zuerst habe. Bin ich doch schließlich Kind dieses sehr rationalen Teils der Erde. Also stelle ich Dinge fest. Aber dort sind sie dann fest, wenn ich sie nicht weiter schicken kann. Wohin? In meine Zellen verdammt. Natürlich verstehe ich Dinge. Wer tut das nicht nach und nach? Aber ich bin ja nicht nur Kopf. Die Dinge müssen in meine Zellen. Tritratrallala, jede Zelle meines Körpers ist glücklich… Ist sie eben nicht. Weil sie so wenig abbekommen von den Gedanken. Von den schönen Gedanken. Von diesen weiß Gott teils atemberaubenden Gedankenschlüssen. Denn das ist ja zweiwas, immer noch, Kopf und Bauch. Und wir trennen ja so gern. Also sitze ich bei meiner Therapie und stelle Dinge über mich fest. Gute Dinge. Dinge die Sinn erschließen. Es entsteht neue Logik. Zusammenhänge. Und ich bin Ihnen so dankbar Herr Meyer-Deharde. Aber das ist eben Psychotherapie. Mein Kopfdoktor. Er hilft mir sehr beim Sortieren. Und Verstehen. Aber die gleichen Synapsen, die meine Gedanken ermöglichen, ermöglichen auch das Heben meines Armes. Sie ermöglichen auch die Art und Weise meiner Verdauung, die Geschwindigkeit meiner Atmung, das Schlagen meines Herzens, die Schmerzen in meinem Unterleib. Die einen Synapsen bringen sehr viele Gedanken zustande, zutage und hervor. Die anderen nicht. Also keine Gedanken. Aber den ganzen Rest von mir. Wann ich esse, wie laut ich atme, wie aufgeregt ich mich fühle. Unser Nervensystem haben wir unterteilt. In eines, worauf ich Einfluss habe, und eines, was von meinen Gedanken nicht steuerbar ist. Aber mein vegetatives Nervensystem vegetiert im Vergleich zu meinem somatischen dahin. Denn es will auch was abbekommen von der Datenflut. Will auch an dem Rausch eines neu verstandenen Zusammenhangs teilhaben. Und ja, da gibt es eine Brücke. Die Brücke zwischen Kopf und Bauch heißt Emotion. Emotion ist nichts als ein physisches Äquivalent von Gedanken. Und Emotionen sind ein physisches Phänomen herrgott. Aber sie sind wesentlich dezentraler als ein Bänderriss oder ein gesunder Stuhlgang. Sie finden im Gesamtsystem statt. Herz, Lunge, Bauch, Beine, Rücken. Aber wir fühlen nicht, und wir spüren nicht. Und wenn wir fühlen, dann fühlen wir uns: schlecht oder gut. (Unnötig zu sagen, welches wir versuchen zu meiden und welches zu mehren…). Da fühlen wir nicht Enge oder Weite, Wärme oder Kälte, Abstand oder Nähe. Wir fühlen uns nur schlecht oder gut. Was für völlig unzureichende Adjektive, wenn beschreiben sollte, wie ich mich nach dem letzten Trennungsgespräch fühle. Was für denkbar unbrauchbare Kriterien sind das, wenn ich verbalisieren will, wie ich mich fühle, nachdem mein Vater mich angerufen und Sachen gesagt hat, die er lange nicht gesagt hat. Emotionen sind die Wellen, die den Meeresboden mehr oder weniger schnell neu formatieren. Emotionen sind keine elfmonatige Leidensgeschichte. Sie ist eine mehrere Sekunden lange physische Erfahrung. Und nein, sie findet nicht im limbischen System statt, sie wird dort nur angezeigt. Meine Güte. Die Wetteranzeige deines Handys ist auch nicht der Ort, an dem es gerade bei 15 Grad regnet. Emotion findet im Körper statt. Sie sind eine wellenförmige Gesamtbewegung durch einen Großteil meiner Nervenbahnen, und zwar zum größten Teil jene außerhalb der Schaltzentrale. Und so eine Welle hilft (mir) eben genau dabei, solche gedanklich neu gewonnenen Wahrheiten in mein Gesamtsystem zu transportieren. An welcher Stelle haben wir den Wagenplatz denn verloren? Als der Kaufvertrag unterschrieben wurde, oder als die Bagger die ersten Lauben eingerissen haben? (Sowohl als auch!) Ich kann die Welt verstanden haben, im Hirn, aber nichts von dem ist doch von Wert, wenn meine Zellen nicht dieses Verständnis auch in ihre gänzlich nonverbalen Schaltkreise übersetzen können. Und dazu braucht es das physische Verstehen dieser Gedanken. Das physische Verstehen, das ist schon in sich ein Oxymoron, aber wie soll ich es anders nennen, in dieser Welt in der wir Dinge nur mit dem Hirn verarbeiten. (Wenn überhaupt…).

Also lasst mich doch fühlen. Lasst uns „Gefühle“ doch als eine körperliche Erscheinung erlauben, die Gedanken spürbar macht. Und auch andersherum. Wenn ich zulasse, was gefühlt werden will, nachdem mein Vater angerufen hat, dann, langsam, entstehen auch, formen sich Gedanken dazu. Worte. Erklärungen. Verständnis. Zusammenhänge. Weil es zusammengehört. Also lasst mich fühlen ohne beschämt oder tröstend die unangenehme Situation überbrücken zu wollen. Ich wünsche mir, daß wir zu den Krankenschwestern oder den Eltern werden, die geduldig dem Patienten die Haare zurückhalten, wenn er wieder über der Kloschüssel hängt, und dabei mit einem leisen Schmunzeln an ihren damaligen zweiten Vollrausch denken. Die abgehärtet und mit dem Herz am richtigen Fleck den Schieber bereit legen, wenn der nächste Durchfall kommt, und danach Teewasser aufsetzen. Herrgott und Emotionen sind ja weit aus geruchsarmer als Erbrochenes oder Durchfall. Es ist ein notwendiger Klärungsprozess. Wortlos meist. (Oder wenn dann mit diesem sich wiederholenden Worten über der Kloschüssel den man den Patienten dann sagen hört, wie „ich hätte beim Karusell nein sagen sollen…“. Weinen. Atmen. Stöhnen. Tönen. Lachen. Sich schütteln. Auf Kissen hämmern. Laut Seufzen. Geräusche machen! Lasst sie uns doch kommen, sein und gehen, die Welle. Viele kleine, statt eine große, allein im Bett. Motion ist nur Bewegung. Und E nur Energie. Es ist kein Leid und keine Euphorie, das wird es erst, nachdem unser Hirn es einordnet. Aber diese Sekunden des Fühlens, sie haben keine Worte und brauchen keine und wollen keine. Sie wollen nur über die Brücke. Nur in den Körper. Nur die Erlaubnis, durch die Zellen zu strömen. Sodaß die Gedanken im Körper landen, wo sie keine mehr sind. Wo sie neue Handlungen werden. Neues Atmen. Neue Muskulatur. Die den Stift beiseite legt. Den Hörer in die Hand nimmt. Das Kind in den Arm. Den Fuß vor die Tür. Den Darm beruhigt. Die Atmung justiert. Die Haut entspannt. Das Zwerchfell lockert. Der Fluß tut keinem weh, nur gestaut wird er gefährlich. Ein Staudamm braucht Steine, Dämmung, Statik, Halt und viel, viel zusätzliche Energie. Kein Wunder, daß mein Therapeut dann 80 € die Stunde kostet. Wenn sich all die Energie immer vor, an oder in meinen Zellen staut, setze ich Fett an, verkrampfen sich meine Muskeln, verkalkt meine Haut. Jedes Tier schüttelt sich, wäscht sich, schnurrt, knurrt, streckt sich, plustert sich kurz auf, lässt die Erfahrung durch den Körper durch. Weinen ist duschen von innen. Stöhnen ist Entlüftung der Lungen. Lachen ist Lockerung des Zwerchfells. Nicht die Emotionen machen mir Sorgen. Ihre Abwesenheit tut es!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert